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Spanien Alptraum Tourismus

Nach Spanien fahren dieses Jahr so viele Touristen, wie das Land Einwohner hat – 34 Millionen, die größte Völkerwanderung alter Zeiten. Doch das touristische Wirtschaftswunder hat das Gefälle zwischen entwickelten und rückständigen Provinzen vergrößert und die Bodenpreise ins Unermeßliche steigen lassen. Die Kontrastgesellschaft der Urlauber hat sich zu einer Super-Oberschicht entwickelt, die immer mehr Spanier abzustoßen beginnt.
aus DER SPIEGEL 35/1973

Auf der Insel Teneriffa steigt »ein Großglockner aus dem Meer«. Und um dieses wundersame Bild – gemeint ist der erloschene Vulkan Teide – gruppiert sich Köstliches: »Afrikanische Sonne über atlantischem Ozean. Lavafelsen. Kleine Buchten, Bäume voller Weihnachtssterne und kühlblaue Jacaranda am Straßenrand: Kontraste, zweieinhalbtausend Kilometer von daheim.«

So idyllisch, verheißt Reiseveranstalter Dr. Tigges, so voller Kontraste zum grauen Alltag daheim ist es überall an Spaniens Gestaden.

In Calella an der Costa Dorada zum Beispiel »wird süßes Leben geschlürft, hier weht der Duft von Sangria aus den Bodegas. hier werden alle Vorstellungen von Sand und Sonne, von Luft und Liebe in den Schatten gestellt« (»Fahr mit«-Jugendreisen).

»Großzügig und eigenwillig« ist die Landschaft an der Costa del Sol, »sonnenverbrannt die Erde. Maurisch wirken die Häuser und Haziendas, stolz die Bergketten der Sierra Nevada«, malt »Transeuropa«. »Das ist Andalusien. Das ist spanischstes Spanien … Geburtsland des Flamenco und der stolzen Caballeros.«

»Hohe Granitfelsen ragen« – an der Costa Brava – »aus azurblauem Meer. Duftende Pinienwälder säumen lebhafte Ferienorte. weite Strände und einsame Strandbuchten« (Dr. Tigges).

»Stille Genießer« können sich mit »Transeuropa« nach Menorca zurückziehen, auf »eine weiße Insel zwischen zwei Kontinenten, zwischen zwei Welten« (»Twen Tours«), derweil in Arenal auf dem Nachbareiland Mallorca »überschäumende Lebensfreude« (»Transeuropa«) quirlt: »Das ist wie Kopenhagener Tivoli und Münchner Oktoberfest zusammen – nur eben in Spanien« (»Scharnow-Reisen«).

In dies gepriesene Paradies zogen in den vergangenen zehn Jahren mehr als 200 Millionen Menschen, um Ferien zu machen – über 32 Millionen allein 1972, davon 3,3 Millionen Deutsche. Ein Land, das noch vor kurzem durch geographische und politische Schranken isoliert am Rande Europas lebte, wurde Ziel der wohl größten Völkerwandung aller Zeiten.

Ober 15.000 Menschen pro Quadratkilometer drängeln sich während der Hochsaison in den Touristenzentren der Insel Mallorca – etwa sechsmal soviel wie in München. Der Flughafen von Palma hat in den Sommermonaten eine Verkehrsintensität wie New Yorks Kennedy-Airport. Und ein Dutzend einstiger Fischerdörfer an Spaniens Küsten besitzt heute jedes für sich mehr Hotels, als die Hälfte aller Mitgliedstaaten der Uno pro Land aufzuweisen haben. In Lloret de Mar an der Costa Brava, in dem außerhalb der Ferienzeit nur etwa 5000 Einwohner leben, zählt das offizielle Unterkunftsverzeichnis für 1973 insgesamt 213 Pensionen und Hotels.

In der neuesten Uno-Statistik als erstes Ferienland der Welt ausgewiesen, erlebt Spanien 1973 die bisher größte Invasion: Wenn das Jahr zu Ende geht, werden ebenso viele Urlauber in Spanien eingefallen sein, wie das Land Einwohner hat – rund 34 Millionen. Für 1980 rechnet die Regierung mit 50 Millionen Besuchern.

Die Zahl der bundesdeutschen Spanien-Reisenden wächst ständig, obwohl in absoluten Zahlen bislang immer noch mehr Deutsche nach Österreich und Italien fahren. Wenn Geld bei Urlaubsplänen überhaupt keine Rolle spielte – so eine Reise-Analyse des Starnberger Studienkreises für Tourismus aus dem Jahre 1970 –, wäre für die bundesdeutschen Urlauber Spanien das europäische Land. in das sie am liebsten führen. Während das Image des klassischen Reiselandes Italien sinkt. scheint der Law-and-Order-Staat Spanien. der Sonne, Toreros und Flamenco bietet und durch billige Charterflüge nähergerückt ist, für viele Deutsche die Erfüllung alter Sehnsüchte zu sein: 41 Prozent aller Spanien-Urlauber, so die Reise-Analyse 1972 der Starnberger Touristiker. fuhren nach Spanien, weil sie »schon immer mal dorthin« gewollt hatten.

Der Verkauf von Sonne und Folklore wurde die bedeutendste Industrie eines Landes, das mit natürlichen Reichtümern nicht gesegnet ist. Rund zweieinhalb Milliarden Dollar an Devisen brachte der Fremdenverkehr allein im vergangenen Jahr in die Staatskasse – genug, um 90 Prozent des Defizits der spanischen Handelsbilanz zu decken. »Der Tourismus«, frohlockte vor zwei Jahren der damalige Minister für Information und Tourismus, Alfredo Sánchez Bella, »hat uns mit Zins und Zinseszins eingebracht, was uns der Marshallplan verweigert hat.«

In der Tat: Die Sonnenhungrigen aus dem Norden bescherten der spanischen Wirtschaft den schnellsten Aufschwung der Neuzeit – das Bruttosozialprodukt verdoppelte sich innerhalb von zehn Jahren, das nominale Durchschnittseinkommen pro Kopf der Bevölkerung stieg von 1967 bis 1971 um 43,8 Prozent. In Barcelona, der Metropole der Costa Brava, lebten im vergangenen Jahr 400 Millionäre mehr als 1971.

So mochte es verwundern, wenn Alfonso Garcia Ramos, einer der Direktoren der Abendzeitung »La Tarde« in Santa Cruz de Tenerife, warnte: »Einige von uns glauben, der Tourismus sei El Dorado, das Land, in dem Geld wie Manna vom Himmel regnet. Doch das ist ein Traum – und aus jedem Traum erwacht man irgendwann.«

Für viele Touristen platzt der Traum bereits beim ersten Zusammenstoß mit der Wirklichkeit: wenn das Dröhnen einer Betonmaschine und nicht Vogelgezwitscher sie weckt, wenn ihr Blick vom Hotelbalkon nicht über einsame Landschaft. sondern über eine Einöde aus Zement schweift, wenn sie in ein Meer steigen, das nicht azurblau ist, sondern schmutziggrau von den Abwässern aus Hunderten strandnaher Apartment-Blocks.

Monokultur der Sonne – zum Wohl der Spanier?

Doch auch für Spanien dürfte das Erwachen nicht mehr fern sein – und voll bitterer Ernüchterung wie einst nach dem Gold- und Silberfieber. das die Nation beim Einfall der Konquistadoren in Südamerika erfaßt hatte. Damals strömten auf der Suche nach Reichtum Scharen von Spaniern aller Schichten in die Neue Welt: Handwerk, Gewerbe. und Landwirtschaft in Spanien verkümmerten; die Gold- und Silberschwemme verführte das Land dazu. Bedarfsgüter kaum noch selbst herzustellen, sondern in blindem Kaufrausch zu importieren.

Ähnlich ist heute das Geschäft mit dem Tourismus in Spanien zu einem »anarchischen« Rausch (so die barcelonesische Tageszeitung »La Vanguardia«) geworden: »Wild wie Unkraut auf dem Feld« sind die Türme der neuen Industrie, Hotel- und Apartmentsilos, in die Höhe geschossen, stellt ein Bericht des Instituts für Touristische Studien in Madrid fest. »Sie haben sich wie Ölflecke ausgebreitet«: Wegzeichen einer Monokultur der Sonne, die alle spanischen Küsten außer den nordwestlichen erobert hat – zum Wohl der Spanier?

Zum Wohl etlicher Spanier – vor allem aber zum Wohl ausländischer Investoren. deren Bauten Geld ins Land bringen, ohne das Land weiterzubringen. Denn im Schatten des Molochs Tourismus wächst die Kluft zwischen den vielen Armen und den wenigen Reichen, steigt das Gefälle zwischen entwickelten und rückständigen Provinzen, sammelt sich sozialer Zündstoff und verkümmert alles, was nicht raschen Profit verspricht.

Nur wenige Kilometer landeinwärts von den Touristenbabeln der Costa del Sol, nicht weit von der Weit der Swimming-pools, Bars und Tennisplätze, dämmern armselige Dörfer wie im Mittelalter dahin. Dreiviertel aller Häuser in den ländlichen Gegenden der Provinz Málaga haben kein fließendes Wasser und viele kein elektrisches Licht.

Das Durchschnittseinkommen pro Kopf und Jahr beträgt hier etwa tausend Mark – ein Drittel dessen, was in den Küstenorten verdient wird. Und in den Bankfilialen der Freizeitstädte sehen die Ferienmenschen noch Landarbeiter, die Einzahlungsbelege mit einem Daumenabdruck vom Stempelkissen unterzeichnen. weil sie ihren Namen nicht schreiben können.

Im Dorf Frigiliana (6 Kilometer vom Tauristenort Nerja entfernt) dienen Maultiere noch als Haupttransportmittel, das Dorf Olias (etwa 15 Kilometer von der See) ist mit der Außenwelt nur über ungepflasterte Holperpfade verbunden. Die einzige Autobuslinie, die Olias anlief, wurde vor Monaten eingestellt. Seither ist Olias ein Geisterdorf wie viele in dieser Gegend – die Bewohner sind an die Küste gezogen, die Männer verdingen sich als Hilfsarbeiter beim Bau von Apartments und Hotels.

Rund 4000 Bauarbeiter schaffen heute allein in dem ehemaligen Fischernest Torre del Mar – fast alle sind einstige Campesinos vom Land. Auf den Kanarischen Inseln sind, so der Professor für Arbeitsrecht an der »Universidad de La Laguna«, Jerónimo Saavedra, rund 15 Prozent aller in der Landwirtschaft Beschäftigten in das Dienstleistungsgewerbe abgewandert. Rund um die Fremdenzentren liegen Felder brach, weil niemand sie bestellt, verfaulen die Tomaten an den Sträuchern.

Auf dem Bau verdienen die Ex-Bauern besser als in ihren Dörfern, und so wäre gegen den Exodus des Landvolks wenig zu sagen, denn er würde die Zurückgebliebenen zur Rationalisierung zwingen – so wie etwa in Deutschland oder Frankreich. Doch was in Andalusien angebaut wird, ist mechanisch nicht zu bearbeiten: Oliven, Tomaten, Erdbeeren, Mandeln und Wein müssen von Hand geerntet werden.

Auf Teneriffa leert sich vor allem die »Zona de Mediania«, das Hauptanbaugebiet von Weizen, Kartoffeln, Gemüse und Mais: Hier verlassen nicht nur die Landarbeiter, sondern auch kleine Grundbesitzer den Boden, um in die Hochburgen des Tourismus zu gehen

und in ihrer »Blindheit« (Saavedra) tun die lokalen Behörden nichts dagegen, den Verfall eines Wirtschaftszweiges aufzuhalten, der dort nächst dem Tourismus immer noch der wichtigste ist.

Allein im vergangenen Jahr mußten auf Teneriffa knapp eine halbe Million Touristen beköstigt werden – was mangels einheimischer Produkte nur durch teuere Importe möglich ist. So servieren die Hotels auf Teneriffa ihren Gästen zum Nachtisch Pfirsiche aus Kalifornien, während wenige Kilometer entfernt die Früchte auf den Bäumen verkommen. Und in den meisten Hotelrestaurants wird Wein aus Katalonien oder anderen Regionen des spanischen Festlands angeboten, obwohl die Inseln selbst ausgedehnte Weinanbaugebiete haben – aber keine Winzergenossenschaften, die Wein vermarkten.

400 Peseten für einen Kubikmeter Wasser.

Die Inselbewohner wurden gewahr, daß die Fremden nicht nur Geld bringen, sondern auch Geld kosten – Wassergeld etwa: Der Wasserverbrauch stieg in einem Jahr um zehn Prozent. Da aber private Prospektionsfirmen die ohnehin kargen Wasservorräte ausbeuten, ist eine gerechte Verteilung oft nicht mehr gesichert: So verknappte in den neuen Ferienkomplexen der Vulkan-Insel Lanzarote der Verbrauch von Duschen und Swimming-pools das spärliche Naß derart, daß Anfang Juli 400 Peseten (etwa 17 Mark) für den Kubimeter gezahlt werden mußten. Bald war auf dem Eiland – auf dem laut Werbung des Ministeriums für Information und Tourismus »der siebte Schöpfungstag noch nicht angebrochen scheint« – Wasser nicht einmal für diesen Preis mehr zu haben.

Flugs erstellten einige Hotels aus eigenen Mitteln Trinkwasseranlagen für ihre Kunden – die übrigen Inselbewohner jedoch, denen für solche Selbsthilfe das Geld fehlt, saßen auf dem Trockenen. Jetzt übernehmen Tankschiffe der spanischen Kriegsmarine die Wasserversorgung, bis die lokalen Behörden eine Lösung gefunden haben. Die freilich wußten sich bislang keinen anderen Rat. als SOS-Telegramme an die höchsten Würdenträger der Nation einschließlich des Kronprinzen Juan Carlos zu schicken.

Die finanziellen Belastungen des Fremdenverkehrs gehen auch andernorts weit über die Kraft der Gemeinden. Der Bau aufwendiger Freizeit-Anlagen gibt zwar Tausenden Spaniern relativ gut bezahlte Arbeit, wird aber im Grunde auf Kosten des Gemeinwohls finanziert.

So benötigen die Kanarischen Inseln seit Jahren mehr Schulen – die lokale Analphabetenrate liegt mit offiziell 8 bis 12 Prozent drei- bis viermal so hoch wie auf dem spanischen Festland, die Geburtenrate bei 28 bis 30 pro 1000 (Festland: 19,5 pro 1000).

Doch statt Schulen bauten der Magistrat von Santa Cruz und der »Cabildo Insular«, der oberste Gemeinderat für alle Inseln. unlängst den künstlichen Sandstrand »La Teresita«. Mit einem Kostenaufwand von rund 200-Millionen Peseten (8,6 Millionen Mark) wurde eine Bucht durch Schutzdeiche abgeteilt und mit 200.000 Kubikmeter Sand aus der Sahara angefüllt – gelbem Sand, der den Touristen besser gefällt als der einheimische dunkelgraue.

In Puerto de la Cruz wandte die öffentliche Hand die gleiche Summe auf. um aus dem Meer Land zu gewinnen, auf dem eine Kette von Rasenstränden und Schwimmbecken entsteht – nachdem man den ursprünglichen Strand von Puerto de la Cruz mit Hochhäusern zugebaut hatte.

Die Eigentümer von Hotel- und Apartmenthäusern, für deren Klientel all dies angelegt wird, brauchen sich an solchen Kosten kaum zu beteiligen. sondern müssen lediglich die unmittelbare Infrastruktur – Licht, Wasser, Kläranlagen – erstellen. Nur in Notfällen werden auch sie darüber hinaus zur Kasse gebeten.

Für die Sanierung der Strände an der Costa del Sol etwa, die auf 2,3 Milliarden Peseten (99 Millionen Mark) veranschlagt wird, sollen jetzt auch die Touristik-Haie der Anrainerorte zahlen – eine Studie der staatlichen Gewerkschaftsorganisation der Provinz hatte festgestellt, daß »die Folgen irreparabel sein werden«, wenn die Sanierung nicht innerhalb von drei Jahren abgeschlossen ist.

Denn bis heute fließen aus Hotels und Apartments täglich Ströme ungeklärter Abwässer ins Meer. Die verbliebenen Fischerhäuser in den Badezentren haben zumeist keine eigene Kanalisation. so daß die Bewohner ihre Nachtkübel am Strand leeren.

In Torre del Mar gießt zudem von Februar bis Mitte Juni eine Zuckerfabrik ihre übelriechenden Rückstände ins Meer, wo sie etwa hundert Meter vor dem Strand auf der Wasseroberfläche schwimmen und von unkundigen Apartmentkäufern zunächst als lockende Sandbank angesehen werden. Nicht weit davon entfernt leitet ein Kanalisationsrohr die Rückstände Tausender menschlicher Stoffwechsel ins Meer.

Wie die Strände müssen Straßen und Flughäfen den Touristen zuliebe ausgebaut werden: Allein in die Modernisierung der Flugkontrollanlagen auf spanischen Airports wurde etwa eine Milliarde gesteckt, denn alljährlich nimmt der Flugverkehr um 15 bis 20 Prozent zu.

Da aber die meisten Urlauber immer noch auf den eigenen vier Rädern kommen (schätzungsweise achteinhalb Millionen Autos 1972), soll das Autobahnnetz von gegenwärtig etwa 450 Kilometer auf 3000 Kilometer im Jahr 1979 ausgebaut werden – obwohl nur jeder 14. Spanier bislang einen Pkw besitzt (Bundesrepublik: jeder vierte Einwohner). Der größere Teil der Autopistas wird von privaten in- und ausländischen Konzessionären gebaut und in Form gebührenpflichtiger Mautstraßen bewirtschaftet werden.

Zweifellos: Derlei Investitionen ziehen neue Touristen an, und diese wiederum neue Investitionen – doch der Nutzen, den dieser Kreislauf den Tourismus-Regionen und ihren Bewohnern bringt, bleibt bescheiden.

»Von dem gesamten Geldvolumen, das der Tourismus hier läßt«, so fand ein Bericht des – inzwischen wegen zu kritischer Haltung aufgelösten – »Zentrums für wirtschaftliche und soziale Forschung der Sparkassen« der Kanarischen Inseln heraus, blieben in der Region »nur der Anteil, der auf die Löhne der (im Tourismus beschäftigten) Einwohner entfällt, ferner das Geld aus dem Verkauf einheimischer Erzeugnisse, die Summe der Handelsspannen und die Zinsen des regionalen Kapitals sowie die Gewinne der regionalen Unternehmen«. Insgesamt macht das, so schätzen einheimische Wirtschaftler, ein Drittel bis höchstens vierzig Prozent, der Einnahmen aus.

Alles übrige sei nach außen abgeflossen – »entweder in Form von Zahlungen für die notwendigen Importe oder als Gewinne, Zinsen und Dividenden für das in der Region investierte Fremdkapital«.

»Die Gewinne, die sehr groß sein können, werden nicht in der lokalen Wirtschaft reinvestiert«, stellt der Wirtschaftler Jost Jané Solá in einem Artikel über das Tourismusgeschäft in Málaga fest. »Die Gewinne, die man erzielt, werden aus der Region wieder herausgebracht, und das Kapital kehrt an seinen Ausgangspunkt zurück.«

Eine Gruppe von Wirtschaftlern der Universität Granada. die 1971 diesen Weg des Kapitals an der Costa del Sol näher untersuchen wollte, stieß auf den Widerstand des zuständigen Ministeriums und mußte ihr Vorhaben aufgeben.

Denn wie hoch der Anteil fremden Kapitals im Tourismus-Geschäft ist, wollen spanische Statistiken entweder nicht wissen oder bewußt verschweigen. lose Ignacio de Arrillaga, Generaldirektor des Madrider »Instituts für Touristische Studien«, der offiziellen Sammelstelle aller statistischen Erhebungen über den Tourismus, antwortete auf die Frage des SPIEGEL nach dem Prozentsatz ausländischer Investitionen: »Der würde mich auch interessieren, aber wir wissen ihn nicht.« Ein technischer Beamter des Madrider Ministeriums für Information und Tourismus, der darum bat, seinen Namen nicht zu nennen, schätzt den Anteil des Auslandskapitals auf über 60 Prozent.

Tatsächlich verhalten sich Spaniens Behörden, sonst der Freiheit nicht eben aufgeschlossen, in diesem Punkte liberal. Laut Gesetz dürfen Ausländer sich zwar nur bis zu 50 Prozent an einheimischen Firmen beteiligen, doch die spanischen Anteilseigner sind häufig nur Strohmänner, und Sondergenehmigungen für höhere Beteiligungen werden großzügig verteilt. Für Bau und Betrieb von Hotels entfällt zudem jedes Beteiligungslimit. Kapital und Gewinn aus Direktinvestitionen können unbegrenzt repatriiert werden, staatliche Kredite für den Bau von touristischen Anlagen werden mit lockerer Hand vergeben.

Eine Nobel-Ferienoase mit 14 künstlichen Seen.

Kein Wunder denn, daß Ausländer ganze Landstriche aufkaufen – zumeist von einheimischen Großgrundbesitzern, denen der Tourismus auf diese Art tatsächlich Entwicklungshilfe leistet: Der spanische Fiskus erhebt vor allem indirekte Steuern, läßt Eigentum und Einkommen hingegen fast ungeschmälert.

Auf dem früheren Jagdgebiet der Grafen von Larios bei Málaga etwa erstellte ein holländisch-belgisches Unternehmen die rund 1,25 Millionen Quadratmeter große Ferienhaus-Siedlung »Cerrado de Calderón«. Im Süden von Gran Canaria kauften vor allem deutsche Touristik-Unternehmer rund 18 Kilometer Küste aus dem gräflichen Besitz derer de la Vega Grande auf.

Auf 445 Hektar in La Manga del Mar Menor an der Costa Blanca baut der US-Multimillionär Gregory Peters eine Nobel-Ferienoase für Manager, mit zwei Golfplätzen, 14 künstlichen Seen und eingeplantem größtem privatem Jachthafen Spaniens.

An den Strandpromenaden in den Knotenpunkten des Fremdenverkehrs bieten Hunderte von Immobilienbüros spanischen Grund und Boden feil wie anderswo Supermärkte Sonderangebote zum Sonntag.

In der Calle San Telmo in Puerto de Ja Cruz zum Beispiel offerierte unlängst ein Grundstücksverkäufer per Aushang im Schaufenster »Land auf Fuerteventura noch zu günstigen Preisen«:

ca. 5 Mio. m² à DM 1,20 ca. 8 Mio. m² à DM 1.ca. 1 Mio. m² à DM 1,40 ca. 3,4 Mio. m² à DM 4,ca. 200.000 m² à DM 2,Wenige Meter weiter warb ein Kollege: »Auch für Sie hat (die Urbanisation) Tabaiba das passende Anlage- und Renditeobjekt. Unsere Bodenpreise steigen laufend. Alles wächst in Tabaiba, nicht zuletzt Ihr Geld.«

»Recht hat immer der Stärkere.«

Und an den Zeitungskiosken in Benidorm oder Torremolinos, in Las Palmas oder Calella bieten die Wochenendausgaben der deutschen Tagespresse seitenweise spanisches Terrain als Anlageobjekt für »inflations- und steuergeschädigte D-Mark« an (»Kurban AG«, Stuttgart).

Die einheimischen Großunternehmen halten bei dem Geschäft mit, so gut sie können. Spanische Banken – so die Bank von Bilbao oder die Madrider Coca-Bank – schufen Luxus-Urbanisationen wie Los Monteros an der Costa del Sol; der Tourismuskonzern Sofico, dessen Großaktionär Salmerón als Müllwagenhersteller reich wurde und dessen Vize-Präsident ein spanischer General ist, sahnt beim Tourismusgeschäft kräftig ab.

Und Antonio Toré y Toré (»Toto«) zum Beispiel, nach eigenem Bekunden »wahrscheinlich der größte Bauunternehmer in der Provinz Málaga«, ließ innerhalb der vergangenen zehn Jahre in Torre del Mar 63 Hochhäuser mit etwa 4000 Ferienapartments mauem. 2500 Einheiten haben er und Kollegen allein an Deutsche verkauft.

Seinen ausländischen Konkurrenten gegenüber hat Toto sogar einen nicht zu unterschätzenden Vorteil: Er ist zugleich Bürgermeister von Torre del Mar und sitzt in dieser Eigenschaft auch mit im Magistrat der Kreisstadt Vélez-Málaga – eine glückliche Fügung, denn im Magistrat müssen unter anderem die Baupläne für Apartmentblocks genehmigt werden, bevor sie an die zuständigen Ministerien gehen.

Wie in Torre del Mar haben einheimische Touristen-Bosse auch in anderen Urlaubszentren unmittelbaren Zugang zur Macht. So besitzt der Bürgermeister von Lloret de Mar zugleich das neue Dreisterne-Hotel Clua Marsol, bequem schräg gegenüber dem Rathaus gelegen. Dem Ex-Bürgermeister von Puerto de la Cruz auf Teneriffa, Felipe Machado, gehört das Hotel »El Tope«. das er, so behaupten Einheimische, nur habe bauen können, weil er Bürgermeister gewesen sei: Das Terrain, Machados Besitz, befand sich nämlich mitten in einem Gebiet, das von den Behörden zur Grünzone deklariert und ursprünglich nicht zur Bebauung freigegeben worden war. Bürgermeister Machado habe darauf kurzerhand das für »El Tope« vorgesehene Land als bebaubar eingestuft, während das Gebiet drumherum Grünzone blieb – so daß sein Hotel heute in landschaftlich besonders schöner Umgebung liegt.

Auf ähnliche Weise konnte eine Gruppe von fünf Insel-Honoratioren seit Jahren ein Industrieansiedlungsprojekt im Süden Teneriffas, bei Granadilla, hintertreiben – sie wollen das Gebiet touristisch erschließen. »Was hier vor sich geht«, gestand der spanische Personalchef eines internationalen Luxushotels bei Puerto de la Cruz, »erinnert manchmal an den Wilden Westen – Recht hat immer der Stärkere.«

Und der Schwächere – der Spanier, so er nicht Grundeigentümer, Hotelbesitzer, Makler, Reiseagent ist – hat bei dem Faustkampf der Geschäftemacher um den höchsten Profit das Nachsehen.

Denn im Sog der Touristenwelle schossen in den Küstenorten die Lebenshaltungskosten in die Höhe, nahm die Bodenspekulation Ausmaße an, »die selbst einen Kavallerieoffizier erröten lassen«, so die Wochenzeitschrift »Sábado Gráfico«. In Orten wie Torre del Mar sind die Grundstückspreise innerhalb von zehn Jahren um tausend Prozent gestiegen.

Spanische Familien, die an den Küsten ihres Landes Urlaub machen wollen, werden vielerorts als Touristen zweiter Klasse behandelt – um nach Ibiza fahren zu können, monierte die Madrider Tageszeitung »ABC«, müsse man Englisch sprechen und über eine Londoner Reiseagentur buchen.

So fühlen sich viele Spanier gelegentlich wie Fremde im eigenen Land, und nicht selten wohl so ähnlich wie Gastarbeiter in Deutschland: »Deutsche Ecke«, »Wiener Terrassen«, »Deutsches Café« oder »Café Enzian« (Bedienung im Dirndlkleid) heißen die Lokale an den Flanierstraßen von Lloret de Mar, »Beim dicken Otto«, »Bei Klaus« oder »Café Berlin« Kneipen in Puerto de la Cruz. Durch Palmengärten dröhnt »Heute hau'n wir auf die Pauke«, und in Llorets Kegelbahnen unter freiem Himmel grölen deutsche Kegelbrüder »Gut Holz«. In den Restaurants bieten die Speisekarten »Gulasch und Sauerkraut«. »Frankfurter Würstchen« oder »Deutschen Kaffee«.

Besatzern gleich verwehren hin und wieder schicke Feriensiedlungen spanischen Besuchern den Zutritt, oder sie riegeln den Zugang zum Meer ab – so etwa die Urbanisation »Tabaiba« auf Teneriffa. Erst nach Jahren konnten die Insassen von den spanischen Behörden bewogen werden, den Strand für die Allgemeinheit freizugeben.

Etliche ausländische Tourismus-Unternehmen beschäftigen in Führungspositionen vorwiegend Ausländer und zahlen spanischen Angestellten für gleiche Arbeit weniger Lohn. etwa eine frühere Tochtergesellschaft der IOS in der Apartmentsiedlung »Playamar« in Torremolinos. »Wohin soll das führen«, empört sich »Sábado Gráfico«, »wenn jetzt schon die Spanier im eigenen Land diskriminiert werden!«

»Ein neues Antlitz taucht hervor, eine neue Art des Seins.«

Viele der traditionell gastfreundlichen Spanier haben heute gegenüber den Fremden eine spürbare Abwehrhaltung bezogen. »Meine Tochter wird weder den Deutschen noch sonst jemandem dienen«, beteuerte etwa ein Familienvater in Santa Cruz de Tenerife, als Bekannte ihm vorschlugen, seine Tochter solle mit ihren Sprachkenntnissen doch im Tourismus-Geschäft arbeiten; das Mädchen geht auf die deutsche Schule im Ort.

In der Redaktion der malaguenischen Tageszeitung »Sol de Espana« treffen Hunderte von Briefen ein, in denen sich Leser über die ausländischen Schilder und Plakate in der Hauptstraße San Miguel zu Torremolinos beschweren. Und als ein »Sol«-Kolumnist kürzlich fragte: »Können Reiseleiter nicht etwas Leiser reden, wenn sie den Touristen unsere Kathedrale zeigen?« bekam er spontane Zustimmung.

Die Gastfreundschaft ist aber vielleicht noch die unbedeutendste spanische Tradition, die in der Fremdenflut unterzugehen droht. Wie kaum ein anderes Ereignis der neuesten Geschichte – der Bürgerkrieg ausgenommen – hat der Tourismus, äußerlich gesehen, die spanische Gesellschaft verändert. »Ein neues Antlitz taucht hervor«, erkannte der Bischof von Menorca« Monsenor Moncadas, »eine neue Art des Seius und des Lebens – die noch zwiespältig und schwierig zu bewerten ist.«

Auch hier scheint der Gewinn – Befreiung von einigen archaischen Verhaltensnormen – durchaus bescheiden: Junge Mädchen, einst in allen Bereichen ihres Lebens hierarchischer Familiengewalt unterworfen, brauchen nicht mehr, wie noch vor wenigen Jahren, abends um neun oder zehn Uhr zu Hause zu sein. Sie tragen Bikinis und Minis wie die Touristinnen und gehen – undenkbar noch vor wenigen Jahren – ohne Anstandswächter zum Tanzen.

Auch der Einfluß des Pfarrers läßt nach. So stellte der Direktor des »Instituts für angewandte Soziologie und Seelsorge« (ISPA) fest, daß im Touristenzentrum Calella während des Sommers 26 Prozent weniger Menschen zur Messe gehen als im Winter.

Angst vor der Sünde – etwa der Empfängnisverhütung – zieht nicht mehr wie früher: Die ausländischen Zeitungen der Touristen bringen Reklame für Antibaby-Pillen. und in einigen Badeorten verkaufen die Apotheken Antikonzeptionsmittel bereits ohne Rezept.

Auf lange Sicht mag sich daraus mehr Bewegungsfreiheit auch in anderen Bereichen der Gesellschaft ergeben. Doch bislang »erschöpft sich« die Liberalisierung der Sitten »im bloßen Nachahmen fremder Verhaltensnormen«, so ein Madrider Soziologe. »Denn die autoritäre Struktur unseres Systems gestattet keine wirkliche Auseinandersetzung mit den Verhaltens-Inhalten.«

Gepreßt in einen »institutionellen Rahmen, der die Form einer unbeweglichen Pyramide hat« (so die neue spanische Wirtschaftszeitung »Cambio16«), blieb die spanische Gesellschaft auch unter der Masseninvasion von außen eingeschlossen in ein System politischer Unmündigkeit.

Seit über drei Jahrzehnten, mitten im Industriezeitalter, regiert Francisco Franco einen anachronistischen Ständestaat – neben Portugal der einzige in Europa –, dessen Glieder strikt von oben gegängelt werden.

Die Spanier dürfen keine Parteien oder auch nur lose politische Vereinigungen bilden. Kaum ein Fünftel der Abgeordneten im Pseudo-Parlament der Cortes kann gewählt werden, und auch die nur von verheirateten Spaniern. In erzwungener Harmonie vereinen die offiziellen Einheitsgewerkschaften Arbeitnehmer und Arbeitgeber – soziale Konflikte können nicht offen ausgetragen werden, denn Arbeitskampf ist verboten. Die Presse wird scharf zensiert (seit 1969 wurde etwa der SPIEGEL 75mal verboten). Ein Viertel aller Spanier lebt, nach einer Caritas-Untersuchung, mit einem monatlichen Familieneinkommen von kaum 250 Mark am Rande des Elends, während eine dünne Oberschicht feudaler Familien noch heute Dörfer und ganze Landkreise in Privatbesitz hat. Erst in jüngster Zeit löste sich die innige Verbindung zwischen weltlicher Obrigkeit und katholischer Staatskirche – eine Doppelherrschaft, die seit Jahrhunderten die spanische Gesellschaft geprägt hat.

Dieses Land nun nimmt jählings eine Kontrastgesellschaft in Augenschein, die sich im Urlaub viel ungezwungener und lebenslustiger darstellt, als sie daheim ist. Abrupt herausgerissen aus der zwar oft lästigen, aber doch sicheren Geborgenheit alter Traditionen und ohne festen neuen Standort, versuchen vor allem die jungen Spanier, sich dieser Kontrastgesellschaft anzupassen, die da vor ihren Augen am Strand faulenzt.

Etwa 60 Prozent aller jungen Männer aus den Dörfern im Umkreis der Badeorte an der Costa Brava, so fand die ISPA-Studie heraus, fahren pro Woche mindestens einmal in die Zentren des Ferienrummels, um vom süßen Leben der Fremden zu kosten.

Häufig enden diese Ausflüge dann in Bitternis. Denn schon ein Mädchen in eine der Ausländer-Bars auszuführen ist teurer, als sich die meisten dieser Jungen leisten können. Hundert Peseten (knapp fünf Mark) für eine Cola-Rum sind viel Geld, wenn man – wie 44,5 Prozent aller abhängig Beschäftigten in Spanien – weniger als 350 Mark im Monat verdient.

So löst sich der Konflikt zwischen Konsumwunsch und Kaufkraft gelegentlich im Eigentumsdelikt. Die Kriminalitätsrate, in Spanien traditionell niedriger als in den meisten anderen europäischen Staaten, steigt in den Badeorten schneller als im übrigen Land. Und auch der Typ des Gigolo – noch vor wenigen Jahren unvereinbar mit iberischem Männlichkeits- und Ehrenkodex – späht heute an Spaniens Stränden nach Aufträgen aus.

Die Bürgerschicht hinter den Pyrenäen hat sich zwar im Gefolge des Tourismus ein wenig europäisiert; sie entdeckte, wie ihre Nachbarn, Freizeit als Konsumartikel und übernahm sogar die bislang in Spanien unübliche Sitte, Hunde als Haustiere zu hätscheln.

Eine wirkliche Kommunikation mit den Fremden findet jedoch, schon wegen sprachlicher Schwierigkeiten, nicht statt: Die Touristen-Society lebt – ohne den geringsten Anpassungszwang an die spanische Gesellschaft – nach ihren eigenen Gesetzen, in ihren eigenen, meist luxuriösen Gettos. Sie hat den Status, so ein barcelonesischer Journalist, »einer riesigen Super-Oberschicht« gewonnen – und schuf zugleich ein neues »Sub-Proletariat« (Monsenor Moncadas): Scharen von Zimmermädchen, Kofferträgern, Putzfrauen und Kellnern schuften »unmenschlich viele Stunden am Tag« (so die ISPA-Studie) für die Fremden, nicht selten von morgens um acht bis nachts um eins. Aus den umliegenden Orten zugewandert, leben sie getrennt von Familie und Freunden, wie Gastarbeiter im eigenen Land.

Sicherlich verdienen sie dabei oft beträchtlich besser als zuvor, ein guter Kellner kann auf etwa 1500 Mark im Monat kommen. Doch die existentielle Unsicherheit, Merkmal der ländlichen Tagelöhnergesellschaft, ist geblieben. Denn die Touristenhochsaison läuft nur auf den Kanaren und Balearen das ganze Jahr, an der Costa Brava nicht länger als zwei Monate im Jahr, an der Costa del Sol ungefähr drei. Und wenn die Saison vorbei ist, gibt es für Tausende keine Arbeit mehr.

Nach dem Boom Rückfall in die Misere?

Auffangarbeitsplätze für die tote Zeit im Jahr wurden nicht geschaffen. So hat heute die Provinz Málaga die höchste Arbeitslosenquote Spaniens – über sieben Prozent –, obschon dort dieses Jahr etwa 1,5 Millionen Touristen beherbergt, beköstigt und bedient werden.

Das Bedenklichste am spanischen Tourismus-Wunder ist denn auch, daß die Hoffnung auf raschen Profit »jede andere unternehmerische Initiative eingeschläfert hat« (so der Publizist Garcia Ramos). Und der Staat tat bislang so gut wie nichts, sie zu wecken.

Pläne, im Hinterland der Tourismus-Gebiete Industrie anzusiedeln, wurden nicht aufgestellt oder jahrelang verschleppt. Eine Neugliederung, die festlegt, welche Landstriche für die Industrieansiedlung und welche für den Tourismus genutzt werden sollen, wird seit Jahren vertagt.

So sind bislang in den meisten Feriengebieten selbst Komplementär-Industrien des Tourismus spärlich. Und bereits bestehende Industrien verkümmern, weil niemand investieren will. Die Fischfangflotte auf den Kanarischen Inseln zum Beispiel ist so veraltet, daß Fangflotten aus Japan und Korea die reichen Fischgründe vor der Haustür der Spanier ausbeuten.

Lediglich die Bauindustrie blüht im Touristen-Boom. Allein 1972 stiegen die Investitionen dieser Branche im Vergleich zum Vorjahr um 52 Prozent und fast die gesamte Baukapazität mauerte für den Tourismus. Der öffentliche Wohnungsbau nahm im gleichen Zeitraum sogar ab.

Schon jetzt gibt es jedoch erste Anzeichen, daß die, plan- und hemmungslose Bauerei nicht nur Profit bringen könnte: Auf den Kanarischen Inseln wurde letztes Jahr 50 Prozent mehr Bettenraum geschaffen als im Vorjahr – aber dann kamen nur ungefähr 5 Prozent mehr Touristen.

Und wenn der Bedarf gesättigt ist, werden in Orten wie Torre del Mar 70 Prozent der aktiven Bevölkerung (so viele arbeiten im Baugewerbe) auf der Straße sitzen in der gleichen Misere, aus der sie das Tourismus-Wunder angeblich für immer erlöst hatte.

Wenige, zu wenige spanische Wirtschaftler erkennen die Gefahr: »Wir dürfen den Tourismus«, so warnte der Präsident der Handelskammer von Málaga, »nicht länger als Deckel auf dem brodelnden Kessel unserer Unterentwicklung benutzen.«

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